Historischer Zinsschritt der Europäischen Zentralbank

Im Vorfeld der Sitzung hatten sich zahlreiche Vertreter der Notenbank sehr falkenhaft geäußert. Deshalb war im Vorfeld der EZB-Ratssitzung nicht nur mit einer erneuten Zinserhöhung gerechnet worden, sondern auch mit einem sehr großen Zinsschritt von 75 Basispunkten.
Da die Zinsen seit der Einführung des Euros als Buchgeld im Jahr 1999 nie zuvor ähnlich stark angehoben worden waren, stieg auch der weniger wichtige Spitzenrefinanzierungszins um 75 Basispunkte von 0,75 auf 1,5 Prozent an. Hat auch die Europäische Zentralbank damit in der Zwischenzeit erkannt, dass mit der Inflation auch eine massive Gefahr für ihre eigene Glaubwürdigkeit heraufgezogen ist?
Handelt die EZB aus Einsicht oder aus Panik?
Auf den ersten Blick will es so scheinen und in der Tat hat die EZB in diesem Jahr eine recht radikale Wendung vollzogen. Während die US-Notenbank schon im März zu ihrer ersten Zinserhöhung schritt, glaubte die Europäische Zentralbank zunächst noch Zeit zu haben. Dass diese Einschätzung eine fulminante Fehleinschätzung war, belegt der heutige Zinsentscheid ebenfalls.
An dieser Stelle sollte nicht vergessen werden, dass die heutige Erhöhung erst die zweite Anhebung des EZB-Leitzinses seit dem Jahr 2011 ist. In all den Jahren glaubte man, die Zinsen nicht verändern zu müssen, nicht einmal um bescheidene 25 Basispunkte. Seit Juli muss jedoch alles sehr schnell gehen.
Erst gab es eine Erhöhung um 50 Basispunkte und nun eine zweite um 75. Die Eile ist berechtigt. Sie zeigt aber auch, dass die EZB in den vergangenen Monaten viel zu lange gezögert hat. Für die kommenden Monate ist nun die Frage, ob man die durch Untätigkeit verspielte Zeit noch einmal aufholen kann.
Gelingt das nicht, droht die Gefahr, dass die Inflation vollkommen aus dem Ruder läuft und für die EZB gar nicht mehr zu kontrollieren ist.
Es bleibt noch viel zu tun und nun droht auch noch eine Rezession
So dramatisch der heutige Zinsschritt war, so lächerlich ist auch weiterhin das Zinsniveau in der Eurozone. Denn es ist kaum zu erwarten, dass es der EZB mit einem Zinssatz von lediglich 1,25 Prozent gelingen wird, eine Inflation einzufangen, die kurz davor steht, zweistellige Werte anzunehmen.
Aus Russland kommt über die alte Ostseepipeline mittlerweile kein Gas mehr. Das trifft nicht nur Deutschland sehr hart, sondern auch Tschechien, denn die Tschechen beziehen ihr Erdgas über das deutsche Pipelinenetz. In der Wirtschaft schrillen die Alarmglocken schon seit einiger Zeit und es hat bereits die ersten Insolvenzen gegeben, die primär der Energiekrise geschuldet sind.
Schon bei ihrer heutigen Entscheidung stand die Europäische Zentralbank vor einem Dilemma und dieses droht in den kommenden Monaten noch größer zu werden. Die Knappheit vieler Rohstoffe lässt die Preise explodieren. Will die EZB den Preisanstieg stoppen, müssen die Zinsen weiter erhöht werden. Für die vielen Zombiunternehmen, die in den vergangenen Jahren nur dank des niedrigen Zinsniveaus überlebt haben, dürfte es dann recht schnell sehr eng werden.
Bleibt die EZB ihrem Zinserhöhungskurs auch dann noch treu, wenn die Zahl der Insolvenzen ähnlich stark steigt wie aktuell die Preise? Der Grad auf dem die Direktoren der Europäischen Zentralbank wandeln, ist ausgesprochen schmal. Bislang haben die Anleger der Notenbank vertraut und daran glauben wollen, dass die Inflation so schnell wieder geht wie sie gekommen ist.
Auch aus diesem Grund haben die Preise von Gold und Silber auf die anhaltende Inflation bislang kaum reagiert. Das muss allerdings nicht so bleiben und das wird vor allem dann nicht so bleiben, sollte das Vertrauen in die Notenbanken in den kommenden Monaten einen bleibenden Schaden nehmen.