Rohstoff-Würgegriff: Europa verliert das Rennen um Seltene Erden

Europas Magnet-Wunder
"Ich habe heute einen Permanentmagneten mitgebracht", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst auf dem G7-Gipfel und hielt stolz ein Bauteil hoch, das für Windräder, Elektroautos und moderne Rüstungstechnologie essenziell ist. Der Magnet wurde in Estland gefertigt, aus australischem Material, von einer kanadischen Firma - mit EU-Förderung. Das ist ein Erfolg. Aber auch ein Alarmsignal.
Denn während Europa noch feiert, dass es überhaupt eine Fabrik für Seltene-Erden-Magnete besitzt, kontrolliert China weiterhin rund 90 % der globalen Verarbeitungskapazitäten für diese kritischen Rohstoffe. Und nutzt diese Dominanz zunehmend als geopolitisches Druckmittel. "China ist nicht nur Marktführer, es weaponisiert seine Monopolstellung", warnte von der Leyen.
Das Jahrzehnt der verpassten Chancen
Die jetzige Lage ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Fehleinschätzung westlicher Industrien. Schon in den 1980er und 1990er Jahren begann China strategisch in Bergbau und Veredelung von Seltenen Erden zu investieren. Als dann 2010 im Streit mit Japan der Export gestoppt wurde, kam es zur ersten großen Preisexplosion. Japan reagierte - baute Lager auf, förderte Recycling und beteiligte sich an alternativen Minenprojekten wie bei Lynas in Australien.
Europa hingegen blieb weitgehend untätig. Zahlreiche westliche Minen mussten schließen - nicht weil es keine Vorkommen gibt, sondern weil China mit Dumpingpreisen den Markt überschwemmte. Der Effekt: westliche Produzenten wurden aus dem Markt gedrängt.
Deutsche Industrie füllt heimlich die Lager
Nun ist die Angst zurück. Neue Exportvorgaben aus Peking - Genehmigungen für Seltene-Erden-Ausfuhren lassen auf sich warten - führen zu Unruhe in den Chefetagen. Die Folge: Unternehmen wie Daimler Truck bauen gezielt Lagerbestände auf. "Mit allem, was derzeit in der Welt passiert, ist das eine gute und notwendige Strategie", sagte CEO Karin Rådström vergangene Woche.
Die Lehren aus der Chip-Krise während der Pandemie wirken nach: Just-in-time ist vorbei, nun gilt "just-in-case". Noch gibt es keine Produktionsausfälle - doch das Bewusstsein ist geschärft: Ohne Seltene Erden steht die deutsche Industrie still.

Experten: Der Westen steht vor einem "langen, harten Weg"
Mark Smith, früher CEO des gescheiterten US-Produzenten Molycorp und heute Chef eines neuen Projekts in Nebraska, bringt es auf den Punkt: "Wir hätten früher handeln müssen - jetzt ist es ein langer, harter Weg." Selbst mit vollständigen Genehmigungen werde sein Projekt nicht vor 2029 produzieren können.
Smith erinnert an die Fehler von damals: Nach dem Preisschock 2010 wurde auch in den USA kurzfristig investiert - aber als China wieder lieferte, brachen die Preise ein, und die Projekte scheiterten an mangelnder Unterstützung. Heute sieht es besser aus - mit Milliardenhilfen, sogar durch das US-Verteidigungsministerium. Aber der Rückstand bleibt gewaltig.

Mehr Minen braucht die EU - aber nicht über Nacht
Die Experten sind sich einig: Nur mit eigenen Minen, Raffinerien und Recyclingkapazitäten lässt sich die Abhängigkeit reduzieren. Doch das ist leichter gesagt als getan. Genehmigungsverfahren für neue Bergbauprojekte gelten als extrem langwierig, besonders in westlichen Demokratien, wo Umweltauflagen, Bürgerbeteiligung und Klagewege Standard sind.
Selbst wenn alles glattläuft, dauert es Jahre, bis eine Mine produziert. Das bedeutet: Auch wenn der politische Wille nun vorhanden ist - schnelle Lösungen sind nicht in Sicht. China bleibt auf absehbare Zeit unverzichtbar.
Hoffnung jenseits Chinas: American Rare Earths als Beispiel
Ein Hoffnungsschimmer kommt aus Wyoming: American Rare Earths (ARR) entwickelt dort das Projekt Halleck Creek, das laut dem Management eine der größten Seltene-Erden-Lagerstätten außerhalb Chinas werden könnte. Über 2,6 Milliarden Tonnen Erz mit hohem Gehalt seien bereits identifiziert. Der Produktionsstart ist für 2029 angesetzt.
ARR steht beispielhaft für neue Rohstoffstrategien im Westen. Denn nicht nur die USA, auch Europa, Japan und Indien benötigen eigene Bezugsquellen, um sich aus der Abhängigkeit von China zu befreien. Halleck Creek zeigt: Der Weg ist möglich - aber er ist lang und braucht Entschlossenheit.