In Deutschland wird weniger gearbeitet als je zuvor
Auch schon mal das Gefühl gehabt, im Hamsterrad gefangen zu sein? Woche für Woche, Jahr für Jahr, von Montag bis Freitag auf der Matte zu stehen und gefühlt bis zum Umfallen arbeiten zu müssen? Dann ergeht es Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, womöglich nicht anders als zahllosen anderen Deutschen, die hierzulande in der Produktion tätig sind. In unserer von Hektik und Trubel geprägten modernen Zeit kann leicht und schnell das Gefühl entstehen, dass wir mehr denn je arbeiten müssen. Dies ist allerdings ein Trugschluss, denn gemessen an den jährlichen Arbeitsstunden wird in Deutschland – so wie übrigens in allen Industriestaaten - weniger gearbeitet als jemals zuvor.
Geleistete Arbeitsstunden im Vergleich der Jahre 1870 und 2017
Arbeit ist ein zentraler Bestandteil unseres Lebens. Wir arbeiten nahezu jeden Tag, für den Großteil des Tages und viele Jahre unseres Lebens. Doch in zahlreichen Ländern werden heute – schaut man auf die Statistiken – deutlich weniger Arbeitsstunden pro Jahr geleistet als dies noch vor 150 Jahren der Fall war. Gerade in den Ländern, die sich schon früh industrialisiert haben, wie etwa Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien oder die USA, hat sich der Arbeitstag drastisch verkürzt. Nach Daten des Portals Our World in Data, hier dargestellt durch Grafiken von Statista, wurden in Deutschland im Jahr 1870 durchschnittlich 3.281 Stunden in der Produktion gearbeitet. Dies entspricht einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 70 Stunden. Damit stand Deutschland damals an der Spitze der geleisteten Arbeitsstunden in den industrialisierten Ländern (siehe Grafik).
Deutschland reduziert Arbeitszeit um fast 2.000 Arbeitsstunden
Demgegenüber stehen Zahlen aus dem Jahr 2017, in dem sich das Bild drastisch geändert hat. Hier steht Deutschland nicht mehr an der Spitze, sondern rangiert im Feld ganz unten mit jährlich durchschnittlich 1.354 geleisteten Arbeitsstunden. Damit hat sich in Deutschland die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit in der Produktion im Vergleich mit 1870 um fast 2.000 Arbeitsstunden reduziert (siehe Grafik).
Wie aus der Statistik hervorgeht, trifft diese deutliche Reduzierung der Arbeitsstunden auf sämtliche aufgeführten Industriestaaten zu. Auch Frankreich hat demnach seine Arbeitszeiten mehr als halbieren können, während andere Industriestaaten ihre Arbeitszeiten um jeweils mehr als 1.000 Arbeitsstunden reduzieren konnten. China, für das Daten erst seit 1970 vorliegen, liegt derweil mit 2.174 Arbeitsstunden an oberster Stelle. Aber selbst dies ist im Vergleich mit 1870 eine drastische Senkung.
1980: Deutschland halbiert Arbeitszeit
Unterdessen hat Deutschland dieses Ranking seit 1870 bis heute mehrfach von ganz oben bis unten und wieder zurück durchlaufen. Während etwa im Jahr 1913 nahezu sämtliche Industriestaaten mit zwischen 2.300 und 2.500 Arbeitsstunden in etwa die gleiche Arbeitskraft aufgebracht haben und Deutschland an unterster Stelle stand, wandelte sich das Bild abermals bis zum Jahr 1938, als hierzulande mit 2.326 Arbeitsstunden am meisten von allen Industriestaaten gearbeitet wurde.
Dieses Bild zeigt sich fast unverändert bis in die 1950er Jahre hinein, in dessen Zeitspanne die Kriegsjahre und das darauf folgende deutsche Wirtschaftswunder fallen und Deutschland also wieder ganz nach oben klettert – mit rund 2.300 Arbeitsstunden aber immer noch fast 1.000 Arbeitsstunden weniger als 1870.
Ab dem Jahr 1960 gleichen sich die Arbeitszeiten in allen aufgeführten Industriestaaten langsam bei um die 2.000 Arbeitsstunden an und Deutschland beginnt in der Liste wieder nach unten zu wandern. 1980 sind alle Industriestaaten einschließlich China unter die 2.000-Marke gefallen und Deutschland hatte mit durchschnittlich 1.656 Arbeitsstunden seine Arbeitszeit seit 1870 sogar halbiert.
Weniger Arbeit, mehr Produktivität
Zwar werden heute in vielen Industriestaaten deutlich weniger Arbeitsstunden geleistet als früher. Dies bedeutet aber nicht, dass die Produktivität darunter leiden muss. Die Autoren der auf Our-World-in-Data veröffentlichten Studie heben hervor, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen höheren Einkommen in reicheren Ländern und reduzierter Arbeitszeit.
So seien Menschen, die in produktiveren Ländern leben, in der Lage, bei hohem Einkommen weniger zu arbeiten. Zugleich müssten Menschen, die in weniger produktiven Ländern leben, mehr arbeiten für weniger Einkommen. Der Haupttreiber von wachsendem Nationaleinkommen und somit abnehmender Arbeitszeit sei das Wachstum an Produktivität.
Die Autoren schließen mit den Worten, dass die Steigerung von Produktivität nicht nur der Schlüssel dafür sei, die Produktion selbst zu erhöhen, sondern eben auch der Schlüssel für die Reduzierung von geleisteten Arbeitsstunden. Und letzteres wiederum sei notwendig, damit es einer Gesellschaft gut gehen könne.